Georgi Takev: Faltenbilder 3.0 – und abermals einen Schritt weiter !

 

"Kunst ist dazu da, den Staub des Alltags von der Seele zu waschen." Dieses Zitat dürfte den Anlass des heutigen Zusammentreffens erklären.

 

Seit vielen Jahren darf ich die aktuelle Schaffensphase Georgi Takevs begleiten. Und nur zu gerne entsinne ich ich meiner ersten Begegnung mit dem bulgarisch stämmigen Künstler. Eine gemeinsame Malerkollegin hatte Georgi gegenüber geäußert, dass ICH der wohl richtige Ansprechpartner für ihn sei, um den nächsten Schritt in seiner Künstlerkarriere einzuleiten. Also besuchte ich Georgi Takev in seinem Atelier in Schönberg – und wurde konfrontiert mit drei Aspekten: Zum Einen: Georgis Vielfalt in seinem künstlerischen Schaffen; dann: Georgis Ungeduld bezüglich des Erreichens von selbstgesteckten Zielen und schließlich sein Wunsch einen unverkennbaren, eigenen Stil, ein nur mit ihm zu verbindendes Thema seines künstlerischen Schaffens zu finden.

 

In unseren Gesprächen musste ich feststellen, dass er zwischen diesen Seelenanteilen in seiner Brust regelrecht hin und hergerissen wurde. So standen sich sein Stolz und das tiefe Bewusstsein um die große und breitangelegte Vielfalt in seinem Werk, dem markt- und galeriegerechten Produzieren von „einheitlichen“ Kunstwerken diametral gegenüber. Eine Lösung schien noch vor wenigen Jahren nicht in Sicht. Denn sein OEuvre umfasste damals realistische Porträts, Landschaften, Heimatmotive- und Sehenswürdigkeiten; zudem vom Surrealismus und vom Thema Umweltschutz und Umweltbewusstsein beeinflussten Themen, ebenso Skulpturen und experimentelle Objekte. Alle Werke waren von unterschiedlichster Coleur, unterschiedlichem Pinselduktus, unterschiedlicher Komposition und Aufbereitung. Eine breite Vielfaltigkeit eben, die dem Besucher seines Ateliers und seiner Ausstellungen entgegensprang.

 

In dieser ganzen Vielfalt ließ sich dann aber doch ein Thema heraus deuten. Eines, das Georgi Takev in mehreren Gemälden umgesetzt hatte: Strandszenen, Menschen am Wasser. Damit folgte er einer Tradition, die im 19sten Jahrhundert von den Impressionisten und den Pointilisten, allen voran Georges Seurat wieder aufgegriffen wurde, später von Pablo Picasso und nach dem II. Weltkrieg von David Hockney, Eric Fischl und Alex Katz. Und doch war in Georgi Takevs Strandbildern schon die eigenständiger Malerhand zu erkennen. Aber offensichtlich war ihm dies nicht genug. Immer wieder durfte ich den Satz hören: „Die Galeristen, mit denen ich spreche drängen darauf, dass ich eine ganze Serie von Bildern zu einem einzigen Thema schaffe.“ Doch dies – das sich Konzentrieren auf ein einzelnes Thema, war zu dieser Zeit nicht konform mit Georgi Takevs Künstler-Universum. Das war vor ungefähr 5 Jahren, 2010. Ich erinnere mich noch gut und auch gerne an unsere Ausstellungsvorbereitung im Schloss Laubach. Mit Engelszugen hatte ich auf Georgi eingeredet, doch wirklich NUR und ausschließlich Bilder zum Thema „Strand“ auszustellen. Die gut 25 Gemälde, die er in seinem Atelier zur Verfügung hatte, wären für den schönen Ausstellungsraum vollständig ausreichend gewesen. Und dennoch: Georgi musste - einem inneren Drang folgend - doch noch das eine und das andere Themenbild  mit in die Ausstellung einbringen: die Besucher sollten doch SEINE ganze Bandbreite sehen. Was diese dann auch konnten.

 

Dann aber, 2013, erfolgte der Durchbruch: Im wahrsten Sinne des Wortes: entfaltete sich GT. Ein Thema, mit welchem er schon vor vielen Jahren - am Anfang seiner Karriere in Wien - experimentiert hatte, kam wieder in sein Bewusstsein. Damals war er noch im Bann der optischen Täuschungen des Niederländers Maurits Cornelis Escher; Ich denke hier besonders an „Möbius-Band I und II“, die „Zeichenden Hände“, die „Treppen“ und weitere multistabile Wahrnehmungsphänomene.

Nun aber, 2013, entstanden eigenständige Werke: Seine Faltungen kamen ins Leben. Ich sehe ihn noch genau vor wir, wie und mit welcher Begeisterung Georgi Takev von seinen Falten-Gemälden und seinen Falten-Skulpturen berichtete und dann auch folgerichtig die erste „Faltungen-Ausstellung“ in Bad Soden stattfand. Georgi Takev blieb an diesem, offensichtlich SEINEM Thema und entwickelte das ineinander-Verschlungen-Sein von Oberfläche und Innenleben Stück für Stück weiter. Hatten die Stoffbahnen und Tücher anfänglich noch etwas Mystisches bis Erotisches ( im Sinne von Bruno Bruni ), so verselbständigten sich die Falten und Wulste, die materielle Stofflichkeit, zunehmend. Ja, sie erhoben sich sogar in die Höhe. Nicht levitierend, aber - ähnlich den Wand- und Eckobjekten des ungarischen Avantgardekünstlers Naum Gabo - hoch unter die Decke, platziert in Winkeln und Zwickeln der Architektur.

Und so schuf sich Georgi Takev ein einheitliches, wiedererkennbares Markenzeichen: seine Faltungen, sowohl 2-dimensional in Öl und Acryl auf Leinwand, als auch als Objekt in Ton, in Pappe, Kupfer.

Meinen herzlichen Glückwunsch Georgi, dass Du trotz und gerade wegen Deiner Vielfältigkeit es wieder einmal geschafft hast, Dich, Dein Können und deine Ziele in einem Thema zusammenfassen zu können: in Deinen Faltungen.

 

„Die Malerei ist stärker als ich; sie zwingt mich zu machen, was sie will.“ Dieses Zitat wird zwar Pablo Picasso zugeschrieben; es fügt sich aber wunderbar in die Lebensphilosophie von Georgi Takev.

 

Das führt mich dazu doch noch einige Punkte aus dem Leben Georgi Takevs zu erwähnen...

 

In einem Interview des Kunstmagazines ART antwortete der - laut Georgi Takev - intelligenteste bulgarische Künstler Christo auf die Frage: Gab es einen konkreten Anlaß für Ihre Flucht?

 

Christo: Den konkretesten, den man sich denken kann: Ich drohte zu ersticken in dieser Welt der Indoktrination und Dummheit, in der die Kunst nur den einzigen Zweck hatte, die proletarische Revolution zu verherrlichen. Ich habe einen Aufenthalt in Prag im Herbst 1956 dazu benutzt, nach Österreich zu fliehen. Ich habe in Prag Porträts gemalt und dabei 300 Dollar gespart, genug, um einen tschechoslowakischen Zollbeamten zu bestechen. Er versteckte mich in einem Eisenbahnwaggon, der plombiert über die Grenze fuhr, weil er mit Medikamenten vollgeladen war.

ART: Waren Sie seither noch einmal in Bulgarien?

Christo: Nein.“

 

Damit ist auch die Frage nach Georgi Takevs Gründen beantwortet.

 

Der – im wahrsten Sinne des Wortes „Frankfurter Philosoph" Arthur Schopenhauer äußerte sich bezüglich Kunstwerke wie folgt: „Mit einem Kunstwerk muß man sich verhalten wie mit einem großen Herrn: Sich davor hinstellen und warten, daß es einem etwas sage.“ – Das können Sie nun ausprobieren. Ausserdem – und dass ist der größte Vorteil von Vernissagen mit lebenden Künstlern: Sie können jederzeit den Künstler um Rat fragen, sollte Ihnen etwas nicht verständlich sein.

 

Vielen Dank und Ihnen noch einen schönen, kunsterfüllten Abend.

 

Dr. Martin H. Schmidt

 

 

 

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Zeitungsbericht (Taunuszeitung) als PDF

Ausstellung von Georgi Takev in der Werkkunstgalerie-Berlin

 

Georgi Takev ist unverkennbar ein Grenzen überschreitender Künstler; überall ist er Zuhause, in jedem Land, auf jedem Kontinent fühlt er sich wohl und findet er Elemente, die seine Malerei weiter befördern, die seinen Motiven weitere Tiefe verleihen, die seine Objekte noch be-greif-barer machen.

Erst vor wenigen Monaten schlug der 1952 in Bulgariens Kunsthauptstadt Plovdiv geborene Takev eine neue Phase in seinem weit aufgefächertem Künstlerbuch auf, die er seitdem konsequent mit zwei Materialien, auf Leinwand und mit Ton, durchdekliniert.

 

Damit wird er für das neue Klientel, das er anspricht unverwechselbar, für seine alt-eingesessene Kundschaft jedoch definiert er sich gerade vollständig neu.

Deshalb ist es auch nachvollziehbar und folgerichtig, dass Georgi Takev mit seinen aktuellen Werken, den „Schleifen- und Falten“-Bildern und Objekten, den Weg nach Berlin sucht und hier in der Galerie WERKKUNSTGALERIE-Galerie ausstellt.

Ungewöhnlich, genau wie die Perspektiven, die seine Bilder dem Betrachter bieten, ist auch die Präsentation in der … Galerie. Unter der Decken, in den Zwickeln – Naum Gabo lässt grüßen – und an einem Pfeiler hängen seine Objekte, ebenso stehen sie im Schaufenster, frontal und sur-real, den Betrachtern zugewandt, die immer wieder ihre Nasen gegen das Fensterglas drücken, um ein klareres Bild dessen zu erhalten, was sie durch das Glas nur schemenhaft erkennen.

Die Bilder, des aus Bulgarien 1979 nach Wien geflüchteten Georgi Takev, hängen ebenso in ungewöhnlichen Höhen, die Reihung folgt keiner Norm und wiederholt somit den vielfachen Perspektivenwechsel innerhalb Takes Bildern.

 

Farbendurchtränkt sind seine Objekte und in einem breiten Kaleidoskop unterschiedlichster Farbnuancen sind die „Falten“ seiner Gemälde dargestellt.

Die tiefe Sehnsucht des Malers nach einem weiten, unendlichen Horizont; einem Paradies auf Erden nahe des Wassers – dem Unterbewussten –, setzt er in seinen Standbildern um. Neu hinzugekommen sind großformatige Gemälde, die offensichtlich eine zeitgenössische Antwort auf die Bildfindungen des analytischen Kubismus von Picasso und Braque geben.

Mit seinen farbig gefassten Objekten leitet Takev in die sur-reale Phase seiner Wiener Schaffensphase zurück und knüpft an seine schon vor Jahrzehnten äußerst erfolgreiche Motive an; bis hin zu dem sehr persönlichen Einblick in seinen alten Reisekoffer, indem er einst sein Hab- und Gut aus seiner Heimat nach Österreich trug und der ihm tatsächlich auch bei seinem weiteren Umzug in den Taunus, nach Kronberg, noch gute Dienste tat, heute aber Ton-Eier und Ton-Falten, Takevs neue, zukunftsweisende Leidenschaft, beherbergt.

Die sehenswerte Ausstellung ist noch bis zum 6. April in der WERKKUNSTGALERIE-Galerie in Berlin-Wedding, zu sehen.

 

Dr. Martin H Schmidt, Berlin, 22. März 2014

 

 

Pressetext als PDF

Georgi Takev: Faltenbilder 2.0 - gereifter, größer, besser

 

 

 

"Willst du das Unsichtbare fassen, dringe, so tief du kannst, ein - in das Sichtbare."1

 

 

 

Mit seinen neuen Gemälden fordert Georgi Takev den Betrachter heraus. Es geht darum, sehr genau hinzuschauen; es geht darum, die Magie der vom Künstler geschaffenen Realität zu erfassen. Wir, die Betrachter, durchtasten mit unseren Augen den zweidimensionalen Raum der von Takev gemalten Welt und erhalten visuelle, schein-bare Sicherheit in Form von Gegenständen, die wir im Bildraum wahrnehmen. Höhe, Breite und Tiefe der Objekte sind deutlich angegeben. Das was wir erkennen, sind drapierte Stoffe und Bänder. Die Kulisse bildet das Meer, der Sandstrand und der Himmel.

 

Können wir uns als betrachter diesen Formen entziehen? Besser gefragt: Wollen wir uns entziehen? Eine tiefe Magie geht von den gefalteten Stoffbahnen aus, die Georgi Takev in seinen Gemälden bildzentral umsetzt. Geheimnisse scheinen diese Falten zu bergen. Und doch geben die Falten kein Bild von dem, was unter ihnen verborgen liegt. Bei einem anderen Meister des Faltenwurfs, bei Bruno Bruni, enthüllt der als hauchdünner Stoff angedeutete Schutzmantel die feine und erotische Körperlichkeit, mehr als dass er etwas verbergen würde. In der altmeisterlichen Malerei eines van Eick, eines Rembrand, eines Georges de la Tour, sind Stofffalten vorhanden, um Körper zu bedecken, einzukleiden und zu verhüllen. Vom darunter Befindlichen erhält der Betrachter nur soviel Information, wie er benötigt, um sein eigenes Weltwissen mit der Vorstellungswelt des Künstlers zu verbinden; Überraschungen sind in der Welt der Altmeister nicht zu erwarten.

 

Bei Takev dagegen bleibt die Magie erhalten, bleibt das Undefinierte, das nur Erahnte. Ja, es fehlen sogar die zum Maßstab dienenden Vergleichsobjekte im Bildraum. Bildimmanent betrachtet wissen wir nicht, ob es sich bei der Darstellung um eine Makroaufnahme handelt, ob also das Faltenobjekt  in seiner realen Größe einem Taschentuch gleicht oder ob es sich um ein gigantisches Gebirge aus Stoff handelt, a la Christo und Jeanne-Claude. Ungewissheit in seiner schönsten Form führt uns der Künstler Takev vor. Verhülltes, ohne Preisgabe des Verhüllten; Mystik im Großformat; Weichheit. Oberfläche die nach Tiefe streben lässt. Ruhe, Stabilität und Sicherheit. Auffällig ist, dass allen Gemälden eine einheitliche Lichtführung und Farbpalette eigen sind. Die Sonne scheint in Takevs Gemälden ungetrübt, die Grundstimmung ist surreal heiter, der Farbgrundton ist ecru-gelb, der Himmel blau: Kaiserwetter strahlt dem Betrachter aus diesen "Sonnenbilder" entgegen und lädt zum Verweilen im Bildausschnittein. Zeitlos sind die Bildthemen, und die Zeit scheint auf der Leinwand stehen geblieben zu sein, das macht die neuen Gemälde von Georgi Takev schon jetzt zu Klasikern der Moderne.

 

Takev greift mit seínen neuen Faltenwerke auf eine eigene künstlerische Phase zurück, wie zu einem persönlichen Ariadne-Faden. In den 1980ern hatte er erstmals in der jüngeren Kunstgeschichte Faltenbilder entwickelt. Er bindet sich mit seinen neuen Bildern an eine Entwicklung an, die wir kürzlich bei Georg Baselitz beobachten durften, als der deutsche Malerfürst seine Jügendbilder nach und wiedergemalt hatte; auch Karl Hofer hatte seine im Krieg verbrannten Bilder in den Nachkriegsjahren neu gemalt. Für Takev ist dieser Rück- und Wiederaufgriff eine Weiterentwicklung und Bestätigung des einmal eingeschlagenen Weges. Er vertieft seinen einmal eingeschlagenen Weg und bereichert seine Bildwelt mit gesammelten Lebenserfahrungen und Eindrücken.

 

Musik spielt im Entstehungsprozess der Gemälde eine wesentliche Rolle, ebenso die Meditation und die spirituelle Versenkung in die dargestellte Themenwelt. So ist es nicht selten, dass Takev seinen kreativen Prozess mit dem Abspielen klassischer Musik oder dem Anschlagen verschiedener Singing Bowls einleitet. Und ähnlich den Wellen des so erzeugten Klanges, mäandern die Falten der Stoffbahnen über die Leinwand.

 

Wollen wir als Betrachter wirklich unter die Stoffbahnen schauen und das offensichtlich versteckte Geheimnis lüften? Die Wahrscheinlichkeit ist sehr groß, dass es uns so ergehen wird wie dem Mönch Xuanzang, der am Ende seiner Pilgerreise die erstrebten Schriftrollen physisch in den eigenen Händen hielt. Aber feststellen musste, dass die Schriftrollen unbeschrieben waren, also nur Alumfassende Leere aufwiesen.

 

Viele Informationen gibt uns der 1952 in Bulgarien geborene Künstler nicht. Der Betrachter sieht ein wahres Meer von Falten; wir sprechen hier von Faltenwirbeln. Hierzu lässt sich ausführen, dass Falten traditionell in der Bildenden Kunst bei der Darstellung von Bekleidung und Draperie verwendet werden. Die hier darzustellenden Biegungen und Knickungen reizten schon frühzeitig die Kunsthandwerker und Künstler jeder Epoche und jeder Region. Im jeweiligen Formenkanon waren die Darstellungen und Wiedergabe von Falten selten naturalistisch, sie waren stilisiert und einem höheren Thema untergeordnet. Nicht selten zeigte sich die Kunstfertigkeit des Malers oder Bildhauers in der Ausformung, der Vielzahl und im Variantenreichtum des in sich sehr beschränkten Themas der Falte. Technisch und kunsthistorisch beschreibend gesehen, wird der gewölbte Teil einer Faltendarstellung als Wulst bezeichnet, die höchste Ausbildung als Scheitel, zwischen zwei Wülsten befindet sich in der Vertiefung die Kehle. Bei nebeneinanderligenden, in etwa waagerecht verlaufenden Falten spricht man von Faltenkaskaden, bei taschenförmig ausgeführten Falten von Schüsselfalten. Der französischen Philosoph Gilles Deleuze beschreibt Falten als unscharfe Objekte, die als komplexe (und auch als zufällige) Formen ununterscheidbare Zonen verbildlichen. Er geht sogar so weit zu sagen, dass Falten ununterscheidbare Zonen verräumlichen. Dabei hebt er hervor, dass sich der Raum, den die Falte beschreibt und umschreibt, nicht mehr nach den Kategorien oben und unten, außen  und innen klassifizieren lässt. Vielmehr verschmelzen die so gebildeten Gegensätze zu einem Raumkontinuum.

 

Gleichgültig, mit welchen Fachbegriffen die Theoretiker das Phänomen Falten zu fassen versuchen; eines ist den von Künstlerhand aus dem Nichts geschaffenen Falten gemeinsam: Die auf einer Leinwand gemalten Falten geben vor, einen Gegenstand zu bedecken, "etwas" zu verhüllen oder aber von einem Körper, der gerade eben noch ein Stück Stoff, eine Draperie, verhüllt hatte, herabgefallen zu sein. Somit ist das eben noch verhüllende und mit einer Aufgabe und Bedeutung versehene Stück Stoff unmittelbar und augenblicklich zu einer leeren Hülle geworden. Was sich aber unter dem Stoffvolumen befindet - oder auch nicht - bleibt spekulativ, bleibt nicht-greifbar und somit: geheimnisvoll; ein echter Takev!

 

Die von Georgi Takev gemalten Falten, in ihrer Vielfalt und Vielfaltigkeit, pardon: Vielfältigkeit, lassen - wie so oft - mehrere Deutungen zu. Da wir uns jedoch in der Bildenden Kunst bewegen, können wir den Bereich der Zufälligkeit konsequent ausschließen. Kein Maler vergeudet Malmittel, Zeit, Energie, um etwas zufälliges entstehen zu lassen. Mit Ernsthaftigkeit durchdringt der Maler sein Terrain und erschafft aus dem Nichts, aus dem weißen Leinwand das von ihm persönlich Gesehene, das von ihm persönlich Erlebte, oft sogar das traumatisch Durchlittene.

 

Wie ich bereits erwähnt habe: Die Zeit scheint auf den Gemälden von Georgi Takev stehen geblieben zu sein, vielleicht sogar eingefroren. Allein dieser Aspekt verleht den Gemälden die Patina eines klassischen, zeitlosen Gemäldes. Der Gedanke der Zeitlosigkeit, den ich hier anspreche, leitet mich inhaltlich weiter zur griechisch-römischen Mythologie unseres Kulturkreises. Und nur zu gerne nenne ich Ihnen meine erste Assoziation, als ich Takevs neue Gemälde sah: Europa wird vom Zeus entführt. Ihr Gewand gleitet von ihren Schultern, enthüllt ihren makellosen Körper. Zeus, in Form eines Stieres, bietet ihr Schutz, Leidenschaft und eine Perspektive. Ihr Gewand jedoch liegt zurückgelassen und funktionslos auf dem Sand des Strandes. Erinnerungen sind darin gespeichert für den, der diese lesen möchte.

 

Lassen wir uns doch einfach verzaubern von der elementaren Wucht der großformatigen Gemälde, deren offensichtlichen Geheimnistragen uns in den Bann zieht. Und folgen wir unseren Gefühlen und Vorstellungen, die die vom Künstler erstellten Faltenwelten für unseren eigenen Kosmos hervorrufen.

 

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1 Max Beckmann 1938 zitiert die Kabbala in einem Redemanuskript New Burlington Galleries, London

 

 

 

Dr. Martin H. Schmidt, Februar 2013

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